Sergey Lawrow, wiederholt die Eckpunkte der russischen Außenpolitik zur Beendigung des Ukraine Konflikts: Die russische Strategie verfolgt eine langfristige Lösung, die darauf abzielt, die Grundprobleme zu lösen und mehr versucht, als nur einen befristeten Waffenstillstand, zu erzielen.
Der Zahlungsverkehr zwischen Russland und BRICS-Ländern
erreichte 2024 eine lokalen Währungsanteil von 90%
Frage: Eines der Ziele der brasilianischen Präsidentschaft von BRICS im Jahr 2025 ist die Ausweitung des Handels zwischen den Mitgliedsländern. Welche Möglichkeiten sieht Russland dabei für eine verstärkte Verwendung lokaler Währungen?
Sergey Lawrow: In Folge der zunehmenden Fragmentierung der Weltwirtschaft reduzieren die Staaten des Globalen Südens und Ostens den Anteil westlicher Währungen in Bezug auf ihre gegenseitigen Verrechnungen. Niemand will unter den Sanktionen leiden, die der Westen gegen „unliebsame“ Länder verhängte, indem er seine Monopolstellung auf den Finanzmärkten ausspielt. Es ist inakzeptabel, dass Reservewährungen als Waffe des Wettbewerbs instrumentalisiert werden und Verrechnungsvorgänge – selbst für humanitäre Zwecke – unter politischen Vorwänden blockiert werden.
Die BRICS-Staaten arbeiten daran, reibungslose Zahlungsabläufe zu garantieren. Wir können auf gute Resultate verweisen:
So betrug im Jahr 2024 beispielsweise der Anteil des Rubels und der Währungen befreundeter Länder im Zahlungsverkehr zwischen Russland und BRICS-Staaten 90%!
Zu unseren Prioritäten zählen Arbeiten zum Aufbau nachhaltiger Mechanismen für Verrechnungen: So wurden in der Erklärung des BRICS-Gipfels 2024 in Kasan grenzüberschreitende Zahlungsinitiativen, wie die für eine Abrechnungs- und Clearing-Infrastruktur, die Existenz einer Rückversicherungsgesellschaft und einer neuen Investitionsplattform genannt. Diese Initiativen zielen darauf ab, vorteilhafte Bedingungen zur Steigerung des Handelsvolumens und der Investitionen zwischen den BRICS-Ländern zu ermöglichen. Wir gehen davon aus, dass die entsprechende Umsetzung in diesem Jahr unter der Schirmherrschaft der brasilianischen Präsidentschaft fortgesetzt wird.
Frage: Ist die Idee der Schaffung einer BRICS-Währung noch in weiter Ferne?
Sergey Lawrow: In letzter Zeit ist die De-Dollarisierung zu einem der wichtigsten Trends infolge der Entwicklung der globalen Wirtschaft geworden. Dies hängt mit dem Misstrauen gegenüber den vom Westen kontrollierten internationalen Finanzmechanismen zusammen.
Es ist verfrüht, um jetzt vom Übergang der BRICS-Staaten zu einer gemeinsamen Währung zu sprechen. Unsere gemeinsamen Anstrengungen zielen auf die Schaffung einer Zahlungs- und Abrechnungsinfrastruktur für grenzüberschreitende Verrechnungen zwischen den BRICS-Staaten ab.
Wie ich bereits erwähnte, geht es dabei insbesondere um eine proaktive Verwendung nationaler Währungen!
Sowie die notwendigen finanziellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben wären, wird man auf die Frage einer gemeinsamen Währung oder Verrechnungseinheit für die BRICS-Staaten, zurückkommen können.
Frage: Ein weiteres wichtiges Thema von BRICS ist die Stärkung globalen Führungsverhaltens mit Multilateralität: Was könnten die BRICS-Staaten Ihrer Meinung nach dazu beitragen?
Sergey Lawrow: Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 hat sich die BRICS-Vereinigung erheblich konsolidiert: Inzwischen wurde sie zum Zentrum für die Abstimmung von Interessen der führenden Länder der globalen Mehrheit. BRICS hält an den Grundsätzen zur Gleichheit, gegenseitigen Achtung und Ausgewogenheit der Interessen aller uneingeschränkt fest. Wir sehen in unserer Vereinigung eine der Säulen der multipolaren Welt[ordnung] sowie einen wichtigen Mechanismus multilateraler Zusammenarbeit.
BRICS zieht Länder an, die eine gleichberechtigte Partnerschaft im Namen der gemeinsamen Entwicklung anstreben. Während der russischen Präsidentschaft im Jahr 2024 wurde die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs bestätigt, Indonesien als Mitglied in BRICS aufzunehmen. Zurzeit umfasst die Vereinigung zehn Mitglied-Staaten.
Die BRICS-Staaten streben nicht danach, anderen ihren Platz streitig zu machen, vielmehr will man günstige Bedingungen zur Stärkung ihres Potenzials schaffen. Zu den weiteren Prioritäten der Vereinigung gehören die Unterstützung der Länder der Globalen Mehrheit bei Lösung dringender Probleme samt Stärkung der Vertretung des Globalen Südens und Ostens im globalen Führungs-System.
Frage: Brasilien setzt sich für eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrats ein. Wie lautet die aktuelle Position Russlands zu diesem Thema? Würde Russland einen ständigen Sitz Brasiliens im Sicherheitsrat unterstützen?
Sergey Lawrow: Russland geht von der Notwendigkeit einer wohlüberlegten Reform des Sicherheitsrats aus: Letzterer stellt eines der wichtigsten Organe der Vereinten Nationen dar und trägt gemäß UN-Charta die Hauptverantwortung zur Wahrung des Weltfriedens und internationalen Sicherheit.
Für uns ist es ganz klar, dass die Bildung einer multipolaren Weltordnung eine stärkere Vertretung des Globalen Südens und Ostens – also der Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas – im UN-Sicherheitsrat voraussetzt.
Wir halten Brasilien, welches eine unabhängige Außenpolitik verfolgt und einen wichtigen Beitrag zur Lösung internationaler Probleme leisten kann, für einen würdigen Kandidaten, um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat einzunehmen. Wir unterstützen auch die Kandidatur Indiens bei gleichzeitiger positiver Entscheidung zur Vertretung des afrikanischen Kontinents im UN-Sicherheits-Rat.
An dieser Stelle möchte ich betonen, dass wir gegen die Vergabe zusätzlicher Sitze an westliche Länder und ihre Verbündeten sind, zumal sie im Sicherheitsrat ohnehin schon zu stark vertreten sind:
Wir sind nicht bereit, die Kandidaturen Deutschlands und Japans zu unterstützen, da in diesen Ländern die Ideologie des Militarismus wiederauflebt!
Deutschland und Japan verfolgen gegenüber Russland eine offen feindselige Politik!
Frage: Im Zuge der Konsultationen auf Ebene der außenpolitischen Gremien von BRICS, erwähnte die russische Delegation die Verhandlungen mit den USA zum Ukraine-Konflikt. Welche Möglichkeiten sehen Sie für Verhandlungen zwischen Russland und Ukraine, um die Beilegung des Konflikts zu erzielen?
Sergey Lawrow: In unseren Kontakten mit Vertretern der US-Regierung haben wir ausführlich über die Grundursachen bei der Entstehung der Ukraine-Krise gesprochen. Wir haben unsere Vorstellungen zu den Faktoren für eine endgültige Beilegung unter Berücksichtigung der legitimen Interessen Russlands, vor allem im Bereich Sicherheit und unter Gewährleistung der Menschenrechte, eingebracht.
Wir gewannen den Eindruck, wonach unsere amerikanischen Gesprächspartner die Position Russlands zur Lage in der Ukraine [inzwischen] besser verstehen. Wir hoffen, dass dies ihnen im Dialog mit Kiew und einzelnen europäischen Ländern helfen wird. US-Außenminister M. Rubio hat mich über sein diesbezügliches Engagement in Paris am 17. April noch am selben Tag informiert: Er versicherte, dass diese Gespräche im Sinne der vorangegangenen Konsultationen zwischen Moskau und Washington geführt worden wären.
Wir bleiben offen für Verhandlungen. Doch der „Ball“ liegt nicht auf unserer Seite. Bisher hat Kiew keine Verhandlungsbereitschaft gezeigt. Wie sonst lässt sich erklären, dass die ukrainischen Streitkräfte weder die 30-tägige Waffenruhe für Angriffe auf Energieanlagen – vom 18. März bis 17. April – noch die 30-stündige Osterpause – vom 19. April, 18:00 Uhr bis zum 21. April, 00:00 Uhr – eingehalten hatten. Das Selenskyj-Regime zeigt, dass es den politischen Willen zum Frieden, wie auch zur Aufgabe des Krieges vermissen lässt, was von russophoben Kreisen diverser EU-Länder, insbesondere in Frankreich, Deutschland, sowie auch Großbritannien, unterstützt wird.
Frage: Glauben Sie, dass andere Länder, wie beispielsweise Brasilien, welches mit beiden Seiten im Dialog steht, in künftige Friedensverhandlungen einbezogen werden könnte?
Sergey Lawrow: Russland schätzt den Beitrag seiner Partner, zur Schaffung von Bedingungen zur friedlichen Beilegung der Ukraine-Krise. Mehr als 20 Staaten und eine Reihe regionaler Organisationen aus Lateinamerika, Asien und Afrika haben ähnliche Initiativen ergriffen.
Darunter war auch Brasilien: Präsident Lula da Silva schlug im Januar 2023 die Idee eines multilateralen Verhandlungsformats vor. Das hat sich in der brasilianisch-chinesischen Initiative und Formierung der „Gruppe der Freunde des Friedens in der Ukraine“ im Rahmen der Vereinten Nationen niedergeschlagen. Ihre Aktivitäten gewinnen an Moment. Es fanden bereits drei Treffen dieser Gruppe statt. Es gibt Anlass zur Annahme, dass sie das Potenzial aufbringt, sich zu einer einflussreichen Plattform der Länder des Globalen Südens und Ostens aufzuschwingen.
Es ist wichtig, dass alle Teilnehmer der „Gruppe der Freunde“ die Grundursachen der Krise berücksichtigen und sich von den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit und Verbundenheit leiten lassen. Der Grundsatz der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Staaten darf nicht losgelöst vom Recht der Völker auf Selbstbestimmung und Schutz der Menschenrechte, unabhängig von Sprache, Rasse, Geschlecht und Religion, betrachtet werden.
Frage: Unter welchen Voraussetzungen würde sich Russland mit der Ukraine an den Verhandlungstisch setzen?
Sergey Lawrow: Diese Frage habe ich zum Teil schon beantwortet:
Es war Kiew, das sich im April 2022 – auf Geheiß seiner westlichen Kuratoren – aus dem Verhandlungsprozess zurückgezogen hatte!
Im September desselben Jahres hat Wolodymyr Selenskyj dann ein gesetzliches Verbot für Verhandlungen mit Russland erlassen. Dieses Verbot ist nach wie vor in Kraft. Um Verhandlungen wieder aufzunehmen, müsste besagtes Dekret aufgehoben werden. Kürzlich hat sich Selenskyj in einem Interview mit CBS News erneut gegen Verhandlungen mit unserem Land ausgesprochen. Ich zitiere ihn, wie folgt: „Wir können Russland bzw. entsprechenden Verhandlungen mit Ihnen nicht trauen!“
Unsere Position zur Beilegung des Konflikts ist bekannt:
- Wir gehen davon aus, dass der Verzicht Kiews auf Beitritt zur NATO mit Bestätigung seines neutralen und blockfreien Status gemäß der Erklärung zur staatlichen Souveränität der Ukraine von 1990, einen der beiden Grundlagen – sowie den Sicherheitsinteressen Russlands – zur endgültigen Beilegung der Ukraine-Krise entspricht.
- Die zweite Grundlage wäre die Überwindung der Hinterlassenschaft des neonazistischen Regimes in Kiew, welches im Zuge des Putsches im Februar 2014 zur Macht kam und deren Täter der gesetzlichen und physischen Auslöschung sämtlicher russischer Elemente, wie die der Sprache, Medien, Kultur, Traditionen, einschließlich kanonischer Orthodoxie, nachgehen.
- ein weiters Gebot wäre die internationale Anerkennung der Krim, Sevastopols, der Volksrepubliken von Donezk (DVR) und Lugansk (LVR) und der Region Cherson sowie Saporischschja zu Russland.
Alle Verpflichtungen Kiews müssten rechtlich verankert, über Durchführungs-Mechanismen verfügen und unbefristet angelegt sein.
Die Agenda dazu hätte zu beinhalten:
- die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine,
- die Aufhebung der Sanktionen, Gerichtsverfahren und Haftbefehle,
- die Rückgabe der im Westen „eingefrorenen“ russischen Vermögenswerte.
Wir werden auch auf zuverlässige Garantien zur Sicherheit der Russischen Föderation gegen Bedrohungen bestehen, die durch feindseligen Aktivitäten der NATO, EU bzw. ihrer einzelnen Mitgliedstaaten an unseren westlichen Grenzen entstehen könnten.
Frage: Wie beurteilen Sie die Rolle und das Vorgehen der Länder der Europäischen Union und der USA im aktuellen Kontext des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine?
Sergey Lawrow: Die Europäische Union hält an ihrer Politik der umfassenden Unterstützung des Kiewer Regimes fest. Ein anderes Ergebnis als die bedingungslose Niederlage Moskaus würde in Brüssel als geopolitischer [Gesichts-]Verlust aufgefasst. In der EU geht man davon aus, dass ein Verzicht zur Unterstützung der Ukraine einer Bestätigung ihrer strategischen Bankrotterklärung gleichkäme. Mit anderen Worten:
Die Brüsseler Bürokratie stellt den Versuch, ihren angeschlagenen Ruf zu retten, über die Interessen einer gerechten und dauerhaften Friedenslösung.
Anstatt zur Beilegung des Konflikts beizutragen, versucht die Europäische Union, unter dem Vorwand, dass sie nicht wirklich zu Verhandlungen eingeladen sei, das Erreichen von Vereinbarungen zu unterminieren. Gleichzeitig werden in der EU Vorbereitungen zur Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine getroffen, trotz unserer Warnungen, wonach dies unakzeptabel wäre. Die Waffenlieferungen an Kiew werden fortgesetzt. Es ist geplant, die Kapazitäten der eigenen Rüstungsindustrie auszubauen. Es werden sogenannte „Koalitionen der Willigen“ gebildet und Möglichkeiten zur Schaffung außerbudgetärer Mechanismen zum Kauf neuer Waffen für Kiew verfolgt.
Entgegen jenem Hintergrund geben Versuche der derzeitigen US-Administration, die Grundursachen des Konfliktes [besser] zu verstehen, Anlass zu Optimismus: Ihr Verhalten unterscheidet sich von dem der Administration unter Biden, welche das Regime in Kiew mit tödlichen Waffen aufrüstete und versuchte, die Ukraine aktiv in die NATO hineinzuziehen. Präsident Trump hat wiederholt erklärt, dass es keinen Konflikt gegeben hätte, wenn die vorherige Regierung die Ukraine nicht in die NATO „hineingezogen“ hätte.
Zwischen Moskau und Washington wird der Dialog über Wege zur Beilegung des Konflikts fortgesetzt. Wir hoffen, dass dies zu akzeptablen Ergebnissen für beide Seiten führen wird!
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Übersetzung: UNSER-MITTELEUROPA
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