Am 17. Juli 1945, vor 80 Jahren, begann die Potsdamer Konferenz an der die Regierungschefs der UdSSR, USA und Großbritanniens teilnahmen. Das Treffen legte den Grundstein für die Nachkriegsweltordnung, die jedoch nicht halten sollte.
Die Potsdamer Konferenz ebnete den Weg zum Kalten Krieg
In einem Interview von TASS zum Jahrestag der Potsdamer Konferenz am 17.7.2025 skizzierte der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, seines Zeichens Politiker, wie auch Jurist, die wichtigsten Lehren, die Russland aus diesem historischen Ereignis gezogen hätte. Er verwies auf Parallelen bezüglich der aktuellen Lage und herrschenden Ideologie in der Ukraine und im kollektiven Westen.
Das Transkript des Interviews mit Dmitri Medwedew durch TASS in deutscher Übersetzung
Frage: Die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz wurden schon bald von den Verbündeten der Sowjetunion und vormaligen Anti-Hitler-Koalition gebrochen. Parallel dazu entwickelte London die Operation „Unthinkable“, einen Kriegsplan gegen die Sowjetunion [Anmerkung der Redaktion: Plan, den Churchill im Mai 1945 zur Niederwerfung der UdSSR u.a. mit Hilfe von 100.000 vormaligen Wehrmachts-Angehörigen in Auftrag gegeben hatte, doch den Einsatz von US-Atomwaffen erforderlich gemacht hätte]. Stellt Perfidie das Wesen des Westens dar?
Medwedew: Der Jahrestag der Potsdamer Konferenz bietet die Gelegenheit, den Spiegel der Vergangenheit unserer Gegenwart vorzuhalten. Dieses Bild sollte jedoch mit der „richtigen Brille“ – ohne naiv zu sein – betrachtet werden, um die Ereignisse vom Juli 1945 nicht losgelöst von der jahrhundertelangen Haltung der europäischen oder, allgemeiner ausgedrückt, der westlichen Eliten gegenüber unserem Land, wahrzunehmen.
Die Revision oder Verletzung der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz war lediglich die Fortsetzung westlicher Politik gegenüber Russland aus der Vorkriegszeit, wenn nicht sogar einer von noch viel früher:
Seit der Zeit Peters des Großen, als Russland sich als europäische Macht zu formieren begann, konnte man in den Handlungen des Westens eine konsequente Tendenz zu Feindseligkeit, Misstrauen und Versuchen, unser Land zu schwächen, feststellen. In Form verschiedener Koalitionen haben sie [die westlichen Länder] versucht, Russland in eine Stieftochter Europas, die nur bis zur Schwelle des paneuropäischen Hauses und Umerziehung zugelassen wurde, umzuwandeln:
Sie versuchten, unserem Land eine untergeordnete Rolle in europäischen und später auch in globalen Angelegenheiten aufzuzwingen – aber vergeblich!
Für die westlichen Eliten war ein unabhängiges und starkes Russland schon immer eine historische Anomalie und eine sehr wirksame Absage gegenüber der Vorstellung ihrer vermeintlichen „kulturellen Überlegenheit“. Furcht und Widerwillen gegenüber Dialog mit anderen Nationen führen stets zu Niedertracht und Aggression. Aus diesem Grund versuchten westliche Eliten wiederholt, Russland zu isolieren, um sich darüber für ihre vorhergegangenen Misserfolge zu revanchieren.
So war die Potsdamer Konferenz von 1945 kein Auftakt zu dauerhaftem Frieden, sondern ebnete vielmehr den Weg zum Kalten Krieg. Die heutigen Entwicklungen – ein Stellvertreterkrieg, wenn nicht waschechter Krieg unter Einsatz westlicher Raketen und Satellitenaufklärung, Sanktionspaketen und lautstarken Erklärungen zur Militarisierung [EU-]Europas – stellen nur einen weiteren Versuch dar, die vom Westen so sehr verabscheute „historische Anomalie“ und unser Land zu zerstören.
Die Potsdamer Konferenz hat uns damit gelehrt, dass die Beziehungen zum Westen nicht auf Illusionen beruhen dürfen:
Die verräterische Natur des Westens und sein verbogenes und völlig überkommenes Überlegenheitsgefühl sind nach wie vor offensichtlich!
Wir sollten daher entsprechend handeln und mit allen Mitteln reagieren und sogar Präventivschläge, sowie erforderlich, ins Auge fassen. Die Potsdamer Konferenz war eine wichtige Lektion der Geschichte für uns! Wir haben die Lehren aus der Potsdamer Konferenz gezogen. Und heute, wie schon 1945, kämpft unser Land nicht nur um den Schutz seiner Grenzen, sondern auch um die Idee einer gerechten Weltordnung!
Frage: Auf der Potsdamer Konferenz wurden erstmals die drei «D» – De-Militarisierung, De-Nazifizierung und Demokratisierung Deutschlands – formuliert. Können die dort skizzierten Ansätze auf die heutige Ukraine übertragen werden? Und welches „D“ könnten Ihrer Meinung nach hinzugefügt und/oder angepasst werden?
Medwedew: Die drei «D» – De-Militarisierung, De-Nazifizierung und Demokratisierung – wurden gegen Nazi-Deutschland als Aggressor-Staat, der die Weltordnung zerstörte, entwickelt. Natürlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen dem [Deutschen] Reich von 1945 und der heutigen Ukraine, was das Ausmaß, die globale Stellung und sogar formal die Regierungsideologie betrifft.
Eine klare Ähnlichkeit besteht jedoch:
- Erstens, existiert eine Identitätskrise mit offensichtlichen Anleihen für Nazi- Symbole. Es gibt einen Kult um Kollaborateure und Nazi-Ideologen sowie Hakenkreuze und Totenkopf-Embleme auf Militäruniformen und gepanzerten Kampffahrzeugen, ganz zu schweigen von anderen Bezügen zum Dritten Reich. Die heutige Ideologie basiert auf Hass gegenüber den Nachbarn und ruft dazu auf „bis zum Ende“ zu kämpfen. All das wird von der Regierung gestützt und breitet sich in der Gesellschaft aus. Hinzu kommt die Militarisierung der Gesellschaft, wobei bewaffnete Gruppen nicht nur militärische, sondern auch politische Funktionen, von denen einige vom Staat nur unzureichend kontrolliert werden können, innehaben.
- Zweitens, gibt es eine Monopolisierung der Macht mit immer deutlicher werdenden Anzeichen einer Diktatur. Unter dem Vorwand des Krieges wurden Wahlen abgesagt, oppositionelle Aktivisten verfolgt oder inhaftiert und die Meinungsfreiheit abgeschafft.
- Drittens, befindet sich die Wirtschaft im Niedergang. Wie das Dritte Reich in seinen letzten Monaten, befindet sich die heutige Ukraine eindeutig in einer Wirtschafts- und Führungskrise, die ausschließlich durch externe Finanzmittel und Mobilisierungsrhetorik bekämpft wird.
All dies verleiht der Idee der drei „D“ nach wie vor Relevanz!
Die Entmilitarisierung würde für die Ukraine keine Strafe, sondern eine Chance darstellen, um nicht länger als Spielball für die blutigen geopolitischen Machtspiele anderer, die zu oft nur gegen die Ukraine selbst gerichtet sind, herhalten zu müssen. Auch aus diesem Grund ist der Status einer Nicht-Paktgebundenheit wesentlicher Bestandteil zur De-Militarisierung des Landes. Darüber hinaus würden durch Wegfall der wahnwitzigen Verteidigungsausgaben zusätzliche Mittel für den Wiederaufbau der zerstörten Wirtschaft frei werden.
Die De-Nazifizierung oder De-Banderisierung stellt keinen Akt der Rache, sondern eine langfristige Auseinandersetzung zwischen dem öffentlichen Gewissen und historischen Gedächtnis, dar. Die Völker unserer Länder und vieler anderer ehemaliger Sowjetrepubliken teilen ein gemeinsames historisches Schicksal. Dieses gemeinsame Erbe birgt ein enormes Potenzial – nicht nur für friedliche nachbarschaftliche Beziehungen, sondern auch für Zusammenarbeit und gemeinsame Entwicklung – mit sich.
Demokratisierung bedeutet mehr als nur Wahlen – sie beinhaltet Wiederherstellung:
- rechtlicher Institutionen,
- einer freien Presse,
- des Wettbewerbs,
- der Gewaltenteilung.
Wären diese Mechanismen in der Ukraine voll funktionstüchtig geblieben, hätte die Geschichte der Ukraine seit 2014 einen weitaus günstigeren Verlauf genommen!
Zu den drei „D“ würde ich heute ein viertes „D“ hinzufügen: Ent-Parasitierung oder Entflechtung. Die Bewohner der derzeit von der sogenannten Ukraine kontrollierten Gebiete müssen lernen, unabhängig zu leben und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Andernfalls hätte eine parasitäre Ukraine keine Chance, ihre Staatlichkeit wiederherzustellen.
Frage: Im Gegensatz zur Sowjetunion haben die westlichen Länder entgegen den Potsdamer Vereinbarungen den Prozess der Entnazifizierung Deutschlands faktisch nicht durchgeführt. Sollte diese Tatsache in der russischen Geschichtsschreibung nicht nur bestätigt, sondern entsprechend betont werden? Kann der Nachkriegs-Westen als heimlicher Komplize zur Erhaltung des Nationalsozialismus nach 1945 betrachtet werden?
Medwedew: Ich habe dieses Thema in meinen Reden und Artikeln mehrfach angesprochen. Vor dem Krieg haben die Westmächte Hitlers Nazi-Regime gefördert und unterstützt und nach der Niederlage der Faschisten im Zweiten Weltkrieg haben sie alles getan, um das Überleben dieser Ideologie fortzusetzen.
Anstatt echte Entnazifizierungsmaßnahmen in den von ihnen kontrollierten Gebieten durchzuführen, begnügten sich unsere westlichen „Verbündeten“ mit oberflächlichen und halbherzigen Maßnahmen.
Die meisten Nazi-Verbrecher, die unter Beteiligung westlicher Justizbehörden vor Gericht gestellt wurden, kamen mit einem blauen Auge davon, erhielten äußerst milde Strafen oder wurden nur wenige Jahre nach dem Krieg amnestiert. Weder ihnen noch ihren Nachkömmlingen bzw. engen Vertrauten wurde der Zugang zu Machtpositionen verwehrt:
Die Folgen dieser erstaunlichen „Toleranz“ gegenüber Nazi-Verbrechern, verbunden mit einer fanatischen und hysterischen Russophobie, sind bis heute zu spüren.
Dies gilt insbesondere für Länder, die Hitler als Hilfswillige oder entbehrliche Ressourcen dienten: die baltischen Staaten, Polen und die Ukraine, die sich eine banderistische [nach Stepan Bandera] Identität zu eigen machten.
Viele hochrangige Persönlichkeiten in Deutschland sind nach wie vor stolz auf ihre faschistischen Vorfahren und eifern ihnen sowohl in ihrer Rhetorik als auch Politik nach. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die jüngste Erklärung des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius, wonach sein Land bereit sei, „russische Soldaten“ an der „östlichen Flanke“ zu töten und Russland stets „aus einer Position der Stärke“ heraus gegenüberzutreten.
Die Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz, selbst ein direkter Nachfahre von Nazis, sind nicht weniger erschreckend!
All dies spiegelt die Heuchelei jener selbsternannten „Anti-Faschisten“ wider, die gerne erzählen, ihr Großvater sei „heldenhaft in einem Konzentrationslager gestorben, nachdem er von einem Wachturm gefallen“ wäre!“
Ich möchte Sie daran erinnern, dass unser Präsident unmissverständlich erklärt hat: Russland habe nicht die Absicht, gegen NATO in den Krieg zu ziehen oder [EU-] „Europa anzugreifen“. Solche Behauptungen westlicher Politiker stellen völligen Unsinn dar. Ich möchte hinzufügen, dass dieser Unsinn bewusst im Informationsraum in Umlauf gebracht wird, um eine ohnehin schon schwierige Lage zu destabilisieren. Es handelt sich um eine weitere Front im offenen Krieg des Westens gegen uns.
Zweifellos müssen alle diese Fakten ans Tageslicht und dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Das Sprichwort „Die Geschichte ist der Richter“ gilt nur, sofern alle für ein solches Urteil notwendigen Fakten und Umstände bekannt sind. Schließlich, wie wir wissen, waren die Soldaten der Roten Armee die ultimativen Richter über die Nazis Hitler-Deutschlands.
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Übersetzung: UNSER-MITTELEUROPA
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