Der Ehemalige Vizebürgermeister von Wien und Abgeordneter zum Nationalrat Johann Gudenus nahm Stellung zu den Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die europäische Wirtschaft und auf die allgemeinen globalen wirtschaftlichen Entwicklungen.
Das Interview mit Gudenus, der während seines Studiums regelmäßig Sommerkurse an der Lomonossow-Universität in Moskau besuchte, führte der Experte am Zentrum für Geostrategische Studien in Belgrad, Patrick Poppel.
Frage: Wie haben sich die Sanktionen gegen Russland auf die europäische Wirtschaft ausgewirkt?
Gudenus: Die Sanktionen haben insbesondere Europa erheblichen Schaden zugefügt. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft haben die EU-Länder allein im Jahr 2023 rund 100 Milliarden Euro durch Exportverluste und Kostensteigerungen verloren. Besonders betroffen sind die Industrie, der Maschinenbau und die Energiewirtschaft. Während Russland seine Exporte neu ausgerichtet hat, mussten europäische Unternehmen einen Rückgang der Bestellungen und eine Verlagerung der Produktion in Länder außerhalb der EU hinnehmen.
Frage: In welchen Bereichen sind die Folgen dieser Sanktionen für Europa am deutlichsten spürbar?
Gudenus: Der schmerzlichste Schlag trifft den Energiesektor. Die Gas- und Strompreise in Europa sind mehrfach gestiegen: So stiegen beispielsweise in Deutschland im Jahr 2022 die Kosten für eine Megawattstunde Strom auf über 500 Euro, während sie vor der Krise bei etwa 60 Euro lagen. Dies erhöhte die Produktionskosten stark und führte zu einem Abfluss von Investitionen. Der größte Chemiekonzern BASF kündigte an, einen Teil seiner Produktion nach China zu verlagern. Auch die Bevölkerung leidet unter steigenden Preisen und sinkender Kaufkraft.
Frage: Vor den Sanktionen war Russland einer der größten Abnehmer von Technologie, Werkzeugmaschinen und Autos aus Europa. Nun hat China den Platz deutscher Autobauer eingenommen?
Gudenus: Genau. Im Jahr 2021 exportierte Deutschland Autos im Wert von über 4,5 Milliarden Euro nach Russland. Im Jahr 2023 sank dieser Wert auf weniger als 300 Millionen Euro. Gleichzeitig eroberten chinesische Marken – BYD, Chery und Haval – den Löwenanteil des russischen Marktes. Mittlerweile stammen mehr als 70 Prozent aller Neuwagen in Russland aus chinesischer Produktion. Dies ist ein direkter und schmerzhafter Schlag für die deutsche Automobilindustrie.
Frage: Glauben Sie, dass die antirussischen Sanktionen vor allem einen Schlag für die europäischen Hersteller und eine Stärkung der chinesischen Wirtschaft bedeuten?
Gudenus: Ja, das ist eines der wichtigsten und paradoxen Ergebnisse. Die Sanktionen haben Russland nicht gebrochen, sondern Europa selbst geschwächt. China erwies sich als Gewinner: Seine Exporte nach Russland stiegen 2023 um 46 %, während die europäischen Exporte einbrachen. Europa isoliert sich wirtschaftlich, während China seinen Einfluss stetig ausweitet und Märkte erobert, die die Europäer aus politischen Gründen aufgegeben haben.
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