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22.5.2025: Yanis Varoufakis erläutert, warum Tech-Feudalismus am Vormarsch ist | Quelle: Screenshot YouTube / Artwork UM

Yanis Varoufakis ist Autor, Wirtschaftswissenschaftler, Parlamentarier, Politiker und ehemaliger Finanzminister Griechenlands. Derzeit ist er Vorsitzender von MeRA25, der griechischen Partei, die Teil von DiEM25 ist – Europas erster transnationaler Bewegung.

 Yanis Varoufakis auf dem Qatar Economic Forum 2025

Yanis Varoufakis auf dem Qatar Economic Forum im Gespräch mit Mishal Husain (li) | Quelle: YouTube

Mishal Husain: Hier am QEF (Qatar Economic Forum) haben wir über Wachstumsbereiche, gute Investitionen, Risiken und Hemmnisse gesprochen, aber jetzt wird ein Gespräch mit jemandem folgen, der Folgendes glaubt: Dass Kapitalismus vergehen und seine Dynamik nicht mehr unsere Volkswirtschaften beeinflussen, doch durch sogenannten Techno-Feudalismus abgelöst werden würde. Das ist die These des Ökonomen und ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis.

Er hat das in seinem Buch „Techno-Feudalismus – Was den Kapitalismus tötete“, das zuletzt erschienen ist, dargelegt. Yanis, herzlich willkommen beim QEF (Qatar Economic Forum).

Ich denke, Sie werden uns mit Ihren Ausführungen vor grosse Herausforderungen stellen. Bevor wir jedoch zum Kern Ihrer Argumentation, die Sie in Ihrem Buch und an anderer Stelle schon dargelegt haben, kommen werden, möchte ich in die Zeit vor zehn Jahre zurückgreifen, als Sie weltweit für Schlagzeilen sorgten:

Sie waren damals griechischer Finanzminister. Genau zu diesem Zeitpunkt vor zehn Jahren, wenige Wochen später, Anfang Juli 2015, sind Sie zurückgetreten. Es war eine intensive Zeit, zum Höhepunkt der griechischen Finanzkrise, woran sich noch viele erinnern werden. Sie haben versucht, die Schulden Griechenlands umzustrukturieren. Ich habe mich gefragt, welche Verbindung zwischen dem, was Sie damals erlebt haben und dem, was Sie heute beschäftigt, liegt?

Yanis Varoufakis: Nun, Mishal, vielen Dank für all Ihre Fragen. Vielen Dank für die Einladung zum Qatar Economic Forum. Lassen Sie uns zehn Jahre zurückblicken: Der einzige Grund, warum ich in die griechische Regierung kam, war der, dass der griechische Staat vor zehn Jahren bankrott gegangen war.

Das griechische Volk hat jemanden, wie mich gerufen, um es zu versuchen. Aber konzentrieren wir uns nicht auf Griechenland, denn es war keine griechische Finanzkrise: Es war eine europäische Bankenkrise, welche die Eurokrise ausgelöst hatte.

Mishal Husain: Es war sozusagen der lange Nachhall der Finanzkrise von 2008?

Yanis Varoufakis: Genau! Alles beginnt wie immer an der Wall Street: So wie es 1929 an der Wall Street begann. 2008 kam es zum «1929» unserer Generation. Die Banken in Deutschland und Frankreich entdeckten zu ihrem großen Entsetzen diese riesigen schwarzen Löcher, die sich im Zuge der Subprime-Krise aufgetan hatten. Und dann gab es, woran Sie sich erinnern werden, die Staatsschuldenkrise in Dubai – diese ging nach Griechenland weiter, dann nach Irland und schliesslich nach Portugal.

Nun – was war damals das eigentliche Problem? Das eigentliche Problem war, dass nach dem Zusammenbruch der Wall Street im Jahr 2008, im April 2009 in London unter der Schirmherrschaft von Gordon Brown, dem damaligen britischen Premierminister, die großen und guten Führer, darunter Premierminister, Präsidenten und Zentralbanker, zusammenkamen und beschlossen, die Finanzmärkte wieder in Gang zu bringen.

So kam es zu einem massiven Programm quantitativer Geldschöpfung, bei dem im Wesentlichen Geld gedruckt wurde, um die Finanzmärkte wieder in Gang zu bringen, während es zugleich keinerlei Koordinierung der Fiskalpolitik gab. Das bedeutete einen Sparkurs mit fiskalischer Kontraktion. Wenn man die Gesamtnachfrage drosselt und zugleich diese Billionen in die westliche Wirtschaft pumpt, schafft man eine Nicht-Übereinstimmung: Obwohl der Finanzsektor mit viel Geld überladen wurde, wollten die Unternehmer aufgrund der mangelnden Kaufkraft [der Konsumenten] nicht investieren, weil sie die geringe Nachfrage sahen. Also nahm man das Geld, um es zurück in den Finanzsektor fließen zu lassen: Für Aktienrückkäufe, [Finanzspekulationen] und dergleichen!

Die einzigen Unternehmer, sprich Kapitalisten, die einen Großteil der USD 35 Billionen, die zwischen 2009 und 2022 durch quantitative Lockerung in Umlauf gebracht wurden, ernsthaft in neue Anlagen investierten, waren Technologieführer und Gross-Tech-Unternehmen aus Silicon Valley. Und das führte – und hängt mit dem zusammen, was ich in meinem neuen Buch beschreibe – zu einer bemerkenswerten Transformation, welche die Menschheit noch nie zuvor gesehen hatte. Das meine ich wirklich so. Ich weiß, dass jede Generation gerne das Gefühl hat, an der Schwelle einer fantastischen Transformation zu stehen. Wir alle haben diese Illusion.Aber ich glaube, dass man zwischen 2010 und 2025 eine solche Transformation erleben konnte. Lassen Sie mich kurz erklären, was diesen Wandel ausmachte: Es kam zu einer neuen Form von Kapital. Kapital gibt es seit jeher – seit der Altsteinzeit, als die Menschen einen Hammer oder einen Pflug herstellten. Was ist ein Pflug? Man schaffte ein Werkzeug, um das Land zu pflügen und etwas anderes zu produzieren: Ein Produktionsmittel zur Produktion! Wie auch z.B. die Dampfmaschine: Diese hat die erste industrielle Revolution ausgelöst.

Es war Elektromagnetismus – Generatoren und Elektrizität, Stromnetze und Telefonnetze gegen Ende des 19. Jahrhunderts, welche die zweite industrielle Revolution bewirkten.

Zwischen 2010 und 2025 kam es zu einer neuen Form von Kapital. Denn was hier drinnen arbeitet [Varoufakis hält sein Smartphone hoch und zeigt auf dieses], meine Damen und Herren, ist eine maschinelle Anlage. Es handelt sich nicht nur um das, was hier drinnen ist, sondern umfasst alle vernetzten Anlagen, die damit verbunden sind: Satelliten, die Kohlefaserkabel, die Algorithmen, die Serverfarmen, all das. Ich nenne das Cloud-Kapital, weil es vermeintlich in einer Cloud zu Hause ist – denn, wenn es nicht in der Cloud wäre, dann ist es auf der Erde und in unseren Ozeanen.

Was macht das aus? Was macht Amazon, der Amazon- oder der Google- oder der Meta-Algorithmus? Er produziert nichts. Was man bei Amazon kaufen kann, das wurde woanders produziert, nicht von Amazon. Was Amazon damit produziert, ist eine bemerkenswerte [andere] Kraft, welche Wünsche und Gedanken in den Köpfen einpflanzt und verbreitet. Man verfügt erstmals über Maschinen, die das ausführen, was zuvor menschliche Gewerbetreibende, Vermarkter, Redner, Prediger, Politiker und Dichter taten:

Nämlich Meinungen zu ändern, um unser Verhalten zu modifizieren!

Das läuft jetzt automatisiert. Jeder, der eine konzentrierte Menge an Cloud-Kapital besitzt, verfügt über immense Macht. Und noch ganz kurz, um diese langatmige Antwort zusammenzufassen: Denken Sie an „Alexa“ [ein sogenannter virtueller Sprachassistent]. „Alexa“ ist dieses kleine Gerät, das Jeff Bezos Ihnen verkauft, um Sie mit Amazon und dem Internet zu verbinden. Doch, Sie haben das Gefühl, dass es Ihnen als Sklave dient: Sie sagen: „Alexa, bestell dieses Buch für mich!“ oder „Alexa, schalte das Licht aus!“ oder was auch immer. Aber im Grunde ist es [nur] eine Schnittstelle zum Cloud-Kapital, welches Jeff Bezos gehört. Doch, Sie trainieren «Alexa», damit es Sie besser trainieren kann. Damit «Alexa» weiß, was Sie wollen – damit «Alexa» Ihnen gute Ratschläge geben kann – damit es Ihr Vertrauen gewinnt!

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn Amazon mir ein Buch empfiehlt, möchte ich es immer lesen und bereue es nie. Ähnlich geht es mir mit Spotify: Wenn es mir Musik empfiehlt, gefällt mir diese in der Regel. Und manchmal liebe ich sie sogar!

Mishal Husain: Weil «Alexa» Sie sehr gut kennt?

Yanis Varoufakis: Ich habe «Alexa» trainiert, um mich [besser] kennenzulernen!

Mishal Husain: Ist das nicht Fortschritt, Yanis, ist das nicht der Fortschritt der Technologie?

Yanis Varoufakis: Aber gleichzeitig ist es auch die Ursache einer großen Krise:

Warum? Weil es mir in dem Moment, nachdem es mein Vertrauen gewonnen hat, sagen kann: „Kaufen Sie dieses Elektrofahrrad!“ Und ich sage: „Okay!» und klicke darauf und kaufe es. Dann kommt dieses Elektrofahrrad zu mir, ohne einen einzigen Markt durchlaufen zu haben. Früher konnte mich ein brillanter Werber davon überzeugen, dass ich einen Big Mac essen müsste. Aber ich sollte diesen nicht wirklich essen – ich brauchte ihn nicht, wollte ihn nicht, aber man hat mich überzeugt. Doch, ich musste dann zu McDonald’s gehen, um den Big Mac zu bekommen. Jetzt kommt er direkt zu mir, unter Umgehung aller Märkte:

Und Amazon behält bis zu 40% des Preises als Miete ein!

Jedes Wirtschaftssystem, das auf Miete anstatt auf Gewinn basiert, stellt eine klare und gegenwärtige Gefahr für den Markt dar. Denn dieses Geld entstammt einem typischen Einkommensstrom…

Mishal Husain: Okay. Aber Sie stellen die Tech-Giganten im Wesentlichen als Nicht-Produzenten dar, die keinen Mehrwert schaffen. Aber diese ermöglichen doch anderen Unternehmen zu existieren, oder?

Jemand hat dieses Fahrrad hergestellt. Jemand hat Geld damit verdient, dass es zu Ihnen geliefert wurde. Nehmen wir ein anderes Beispiel, Google: Ihre Algorithmen ändern sich ständig und das ist schrecklich für Unternehmen, die in einem Moment davon profitieren und im nächsten Moment in den Suchmaschinen ganz unten landen. Aber sie ermöglichen es den Menschen auch, Dinge zu finden, die nützlich sind, seien es Produkte, Dienstleistungen oder einfach nur Informationen?

Yanis Varoufakis: Natürlich! Deshalb nutzen wir es alle. Wenn man mir mein Handy wegnimmt, bin ich verloren. Das weiss man bereits.

Mishal Husain: Aber [gerade] deshalb schaffen sie einen Mehrwert!

Yanis Varoufakis: Nein, sie schaffen keinen Mehrwert:

Sie extrahieren nur Wert!

 Sie sind sehr geschickt darin, uns nützlich zu sein. Sie geben uns das Gefühl, absolut von ihnen abhängig zu sein, um uns etwas zu entziehen – wir beide haben es schon erwähnt: Das Elektrofahrrad. Ich finde es toll, wenn ich auf einen Knopf drücken kann und das Elektrofahrrad, das ich wirklich gerne fahren möchte, zu mir nach Hause kommt.

Aber denken Sie an den Hersteller dieses Elektrofahrrads. Ich meine nicht nur die Arbeiter, die am Fließband arbeiten, sondern auch den Kapitalisten. Er oder sie muss 40% an Amazon abführen!

 Das ist das Äquivalent – das stellt die [eingangs erwähnte] Verbindung zum Feudalismus her: Im Feudalismus verlieh einem der Besitz von Land Macht. Man besaß Land und konnte dafür Pacht verlangen. Die große Entwicklung, die große Transformation des Kapitalismus bestand darin, dass er den Reichtum nicht mehr in den Händen derjenigen konzentriert zurückliess, die das Glück hatten, Land geerbt zu haben, sondern zu den Unternehmern überging:

Zu den Produzenten, die über Kapital einen Produktionsprozess schufen, um wiederum Produktionsmittel zu schaffen!

Doch zur Gegenwart: Einer der Gründe, warum unsere Zentralbanker solche Schwierigkeiten haben, unsere Volkswirtschaften wieder ins Lot zu bringen: Wir haben Inflationsdruck, doch gleichzeitig besteht die Gefahr einer Stagflation, sofern man die Gesamtnachfrage nicht entsprechend angekurbelt kriegt. Einer der Gründe dafür ist, dass nach meiner Schätzung etwa 30% des BIP von Industrieländern und zunehmend auch Entwicklungsländern in Form von Renten [durch Cloud-Feudalisten] abgezogen wird.

Erinnern Sie sich an David Ricardo [1772 – 1823], den großen Bankier, Ökonomen und Politiker an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, der das Buch „On the Principles of Political Economy and Taxation“ geschrieben hat, in dem er die Grundbesitzer scharf kritisierte, weil ihre Renten die Entwicklung der Märkte und des Unternehmertums hemmten. Er war einfach besorgt, doch hatte Recht, zumal ein großer Teil des BIP in [unproduktive] Renten abfloss:

Dann schrumpfen die Märkte und unsere Fähigkeit, produktives Kapital zu akkumulieren: Das sagte David Ricardo – Anfang des 18. Jahrhunderts!

Ich denke, Ricardo wäre heute absolut entsetzt über die Art und Weise, wie dieser Reichtum verteilt wird. Man denke nur an Meta, Zuckerbergs Facebook etc.

Nur etwa 1% bis 2% ihrer Einnahmen fließen noch in Gehälter!

Denn jedes Mal, wenn Sie etwas auf Instagram oder Facebook posten – jedes Mal, wenn Sie etwas posten, tragen Sie zum Cloud-Kapital von Zuckerberg bei und:

… das ist kostenlose Arbeit!

Nun, vielleicht macht Ihnen das Spaß – natürlich macht es Ihnen Spaß: Deshalb tun Sie es ja!

Mishal Husain: Wir denken nicht darüber nach…

Yanis Varoufakis: … kostenlose Arbeit, die nicht in den Kreislauf der Niedrigverdiener zurückfließt…

Mishal Husain: Aber Yanis, die meisten von uns haben diesem Verfahren zugestimmt und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptiert, oft weil wir den Dienst kostenlos nutzen wollen.

Yanis Varoufakis: In der Tat! Aber wenn man zurück in die Feudalzeit geht, glaubte die große Mehrheit der Bauern, dass es ein gutes und faires System wäre. Sie genossen sogar ihr Leben. Wir haben eine sehr negative Sicht auf den Feudalismus. Wenn man sich die Literatur des 16. oder 17. Jahrhunderts jedoch ansieht, weiß man, dass die Menschen nicht sehr lange arbeiteten. Sie hatten ihre Rituale. Sie hatten viele Feiertage… Nur manchmal, wenn der Grundbesitzer es mit der Pacht übertrieb, rebellierten sie und hackten ihm den Kopf ab.

Die Tatsache, dass wir etwas akzeptieren, ändert nichts an der wirtschaftlichen Realität, dass wir im Grunde genommen die Kapazität unserer Makroökonomien untergraben, um sich auf eine Weise zu reproduzieren, die nicht degenerativ wäre.

Mishal Husain: Okay. Um auf die Idee der Miete, gemäss Ihrem Amazon-Beispiel zurückkommen, falls die Mieten 10% statt 40% betragen würden, könnte das Ihre Einwände ändern? Könnten Sie akzeptieren, dass Amazon einen Betrag für seine Dienstleistung und was es ermöglicht, erhält? Ist es der Betrag, der Sie stört?

Yanis Varoufakis: Es geht nicht nur um den Betrag: Sobald man die Kontrolle über dieses Cloud-Kapital ausübt, spielt es keine Rolle mehr, ob man ein netter Mensch oder keiner wäre, ob man Jeff Bezos oder, sagen wir mal, ein Heiliger wäre. Die Anreize, immer mehr herauszuholen, sind enorm, denn wie wir aus der Politik, aus der Gesellschaft und aus Familien kennen:

Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut!

Richtig! Das ist eine bemerkenswerte Macht, die man hat, wenn man über eine solche Plattform verfügt. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen: Amazon oder Google oder Uber locken Sie als Verkäufer oder Produzent an: Wenn Sie Autofahrer sind, locken diese Sie an. Uber bietet Ihnen gute Tarife für Ihre Fahrten. Amazon lädt Produzenten ein, über Amazon zu verkaufen und zieht ihnen einen sehr geringen Prozentsatz [vorerst nur] ab. Aber sobald Sie mit dem Verkauf Ihrer Dienstleistungen oder Produkte über Amazon, Uber, Airbnb und so weiter wirklich gut verdienen, haben diese Unternehmen einen Anreiz, Sie herunterzustufen. Man weiss, was Google anfangs mit Verlagen macht: Sie stehen ganz oben auf der Suchliste. Dann werden sie nach unten gedrängt und müssen mehr Geld zahlen.

Es gibt einen Prozess, den ein Freund von mir und sehr scharfsinniger Beobachter dessen, was ich als Technologiefeudalismus bezeichne, Cory Doctorow, als End-Zertifizierung bezeichnet hat. Das sind die natürlichen Anreize innerhalb dieser großen Technologieunternehmen. Sobald die Cloud-Feudalisten Sie als Verbraucher, Nutzer und Produzent in ihren Bann gezogen haben, wollen sie immer mehr aus Ihnen herausziehen.

So entsteht ein systemischer Prozess der Ausbeutung, der makroökonomisch gesehen äußerst gefährlich ist!

Und das gilt nicht nur für die Vereinigten Staaten und Europa. Wussten Sie, dass in Ländern wie Indonesien beispielsweise Millionen kleiner Kioske und Einzelhändler von Amazon-Konzernen und verschiedenen anderen Cloud-Kapitalisten dieser Region übernommen worden sind?

Man sieht also, wie dieser Ausbeutungsprozess die Ressourcen der tatsächlichen Produzenten weltweit erschöpft!

Meine Aufgabe ist es, die Menschen darauf aufmerksam zu machen!

Mishal Husain: Nutzen Sie diese Dienste?

Yanis Varoufakis: Die ganze Zeit – laufend! Aber wissen Sie, ich tue das nicht…

Mishal Husain: … mit zusammengebissenen Zähnen oder wie …?

Yanis Varoufakis: … Ich glaube nicht an individualistischen Aktionismus oder Schein-Rebellion. Was würde sich ändern, wenn ich mein Handy nicht mehr benutzen wollte? Die Welt würde nicht zu einem besseren Ort werden. Ich denke, dass diese Maschinen eine großartige Hommage an den menschlichen Geist sind. Nehmen Sie zum Beispiel «KI» [Künstliche Intelligenz]. Es gibt bereits KI-Programme, die Antibiotika entwickeln, welche für Menschen tödliche Bakterien abtöten. So etwas, muss gefeiert werden. Ich habe also kein Problem mit Technologie… Ich habe kein Problem damit, wem diese Codes gehören…

Mishal Husain: Aber vielleicht wurde das durch die 40% ermöglicht, die Sie als Rente bezeichnen?

Yanis Varoufakis: Das wurde möglich gemacht, aber gleichzeitig werden auch viele andere Aktivitäten ermöglicht. Amazon in den Vereinigten Staaten verwendet beispielsweise genau solche Algorithmen, mit denen erfolgreiche Antibiotika entwickelt werden, um Arbeiter in den Amazon-Lagern zu überwachen und mithilfe eines mathematisch-statistischen Programms die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, wonach Kommunikation unter Arbeitern zu einer Gewerkschaftsbildung in dem jeweiligen Lager führen könnte. Falls die Wahrscheinlichkeit den eingestellten Schwellenwert erreichte, würde man sie entweder entlassen oder das Lager schliessen lassen, um eine solche Gewerkschaftsbildung zu verhindern.

Somit gibt es viele verschiedene Applikationen. Für mich geht es nicht darum, was diese Systeme machen. Damit habe ich keine Probleme. Mein Problem ist, wem diese gehören. Denn, es liegt eine enorme Macht darin, beispielsweise Twitter, Instagram oder TikTok zu besitzen!

Das steht in krassem Widerspruch zu jedem Konzept einer liberalen Demokratie!

Mishal Husain: Wie Sie wissen, war Elon Musk vor zwei Tagen hier bei uns im Forum. Eines seiner Ziele ist es, ein Zahlungssystem innerhalb von X einzuführen, um dem Unternehmen eine weitere Dimension zu verleihen. Mich interessiert Ihre Meinung dazu, da Sie China beobachten und beispielsweise in der WeChat-App, einer sehr umfassenden App, positive Aspekte sehen. Ist das nicht ein weiteres Beispiel für enorme Monopolmacht? Wenn dem so ist, warum sollte dann ein Zahlungssystem innerhalb von X als Zusatzleistung nicht ebenfalls willkommen sein?

Yanis Varoufakis: Interessanterweise erinnere ich mich, dass Elon Musk Twitter für USD 44 Milliarden gekauft hat. Die gesamte Presse hat ihn niedergemacht: Was für ein dummer Kauf das doch gewesen wäre, meinten jene. Ich fand es einen brillanten Kauf, denn damals und auch in meinem Buch habe ich erklärt, warum er Twitter gekauft hat. Er wollte ein „App für Alles“. Er wollte sein eigenes WeChat schaffen. Für diejenigen unter Ihnen, die es nicht wissen: WeChat ist eine chinesische Anwendung, die alles kann, was unsere westlichen Anwendungen können, von Netflix über Twitter bis hin zu Disney. Aber WeChat bietet auch die Möglichkeit, unabhängig davon, wo man sein Bankkonto hat, kostenlose Zahlungen zu tätigen, solange man so ein ein Konto hat. Und Elon Musk: Er hat versucht oder versucht mit X das zu erreichen, was Zuckerberg mit Facebook nicht geschafft hat. Denken Sie daran, Letzterer wollte seine eigene Art von Libra [Weltwährung] einführen, doch die Wall Street hat das verhindert. Die Wall Street versucht gerade, Elon Musks Version von WeChat zu verhindern.

Nun, ich denke, es gibt zwei wichtige Punkte, die man zu diesem Bestreben von Elon Musk anmerken muss. Der erste ist, dass die Öffentlichkeit das wirklich will, denn wer will schon Provisionen an die Bank of America, JP Morgan, Barclays Bank etc. weiter zahlen? Und warum sollten diese Banken, die ja null Kosten für Transaktionen tragen, dafür Gebühren verlangen?

Sie berechnen uns im Grunde genommen etwas dafür, dass wir unser Geld verwenden dürfen: Doch das ist absurd!

Diese Abgabe muss weg! Könnte jetzt Elon Musk hier sein, würde er sagen: „Ja, ich bin gegen solche Renten. Ich möchte mit X ein kostenloses Zahlungssystem schaffen!“ Richtig, doch er will die Kontrolle darüber selbst ausüben. Doch, wir wissen, dass…

… jedes private Geldtransaktionssystem der erste Schritt in Richtung eines großen Crashs darstellt!

Eine große Krise, weil wir einem Privatunternehmer niemals unser Geld anvertrauen können!

Mishal Husain: Sie stehen also eher auf der Seite der Wall Street als auf der von Musk?

Yanis Varoufakis: Nein! Ich sage, dass ich an den dritten Weg glaube. Ich würde es zum Beispiel sehr begrüßen, wenn die Fed ihre eigene digitale Geldbörse herausgeben würde. Stellen Sie sich vor, Sie könnten – wenn Sie in den Vereinigten Staaten wären – die Fed-App herunterladen bzw. in der Europäischen Union die EZB-App. Und man könnte sich sein Geld dort einzahlen lassen – z.B. seinen Arbeitgeber bitten, einem das Gehalt dorthin überweisen zu lassen, falls man das möchte; völlig freiwillig – und stellen Sie sich vor:

… wenn Sie dann den Tagesgeldsatz der Zentralbank erhalten würden, der immer viel höher ist, als der von Geschäftsbanken!

Das wäre ein enormer Schritt in Richtung mehr Wettbewerb im Finanzsektor!

Mishal Husain: Das wäre dann so etwas wie PayPal oder Apple Wallet, oder?

Yanis Varoufakis: Man würde ein Apple Wallet gar nicht mehr brauchen, weil man mit der App der Zentralbank überall auf der Welt kostenlos bezahlen könnte. Übrigens:

Die Banker haben das bereits, weil private Banken und Geschäftsbanken Konten bei der Fed eingerichtet haben!

Jetzt machen das auch die Chinesen! Der einzige Grund, warum die Vereinigten Staaten das nicht tun können, ist die Wall Street, die sich dagegen mit allem, was ihr zur Verfügung steht, wehren würde. Ich weiß, dass Christine Lagarde von der EZB, dies für den Euro tun möchte und es wäre eine großartige finanzielle Innovation. Aber die Banken in Frankfurt und Paris würden sich auf sie stürzen, falls sie es wagen wollte, das zu machen. So versucht man, das einzudämmen, um nicht mehr als 1.000 oder 2.000 Euro darüber haben zu dürfen.

Im Wesentlichen wollen die Banker ihr Monopol behalten. Das sollte ihnen jedoch nicht zustehen!

Deshalb bin ich gegen eine Kryptowährung oder ein Zahlungssystem im Besitz von Elon Musk. Ich bin gegen WeChat. Denn ich glaube nicht, dass wir das Recht haben, noch mehr exorbitante Macht in die Hände eines Einzelnen zu legen. Aber gleichzeitig glaube ich, dass wir dieses digitale Zahlungssystem demokratisieren und sozialisieren sollten.

Ich glaube nicht daran, wieder zu Bargeld zurückzukehren. Ich glaube an digitale Zahlungen. Doch wir sollten das Geld gemeinsam besitzen, weil wir, auch gemeinsam das Geld schaffen:

 Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Zentralbank das Geld schafft!

Wissen Sie, in jeder fortgeschrittenen Volkswirtschaft werden nur etwa 3% bis 4 % des Geldes von der Zentralbank geschaffen. Der Rest wird privat geschaffen. Jedes Mal, wenn eine Bank einen Kredit oder eine andere Fazilität gewährt, schafft sie Geld. Das ist eine immense Macht. Und ich glaube, dass diese Macht in Demokratien demokratisiert werden sollte. Die Technologie gibt uns die Möglichkeit dazu. Elon Musk weist uns den Weg, dies zu tun, was er uns jedoch nicht zugestehen möchte.

Mishal Husain: Okay. Es ist sehr hilfreich, sowohl Ihre Diagnose des Problems als auch mindestens eine oder mehrere Ihrer Lösungen für die Zukunft zu erfahren. Wir haben nur noch eine Minute Zeit, also geben Sie dem Publikum einen Aktionspunkt mit auf den Weg. Werden Sie diese Apps weiterhin nutzen? Wir alle werden diese Dienste weiterhin nutzen. Aber was würden Sie den Menschen hier empfehlen, zu tun?

Yanis Varoufakis: Nun, wenn Sie Bürgermeister einer Stadt wären oder als aktiver Bürger in Ihrer Gemeinde oder Region eine aktive Rolle spielten, wie wäre es mit dem Vorschlag, dass man dann einen sozial orientierten Konkurrenten zu Uber, Airbnb, Google und Amazon schaffen würde. Warum sollten diese Gewinne über Irland auf den Cayman-Inseln landen und in der Regel im Besitz der großen Tech-Proletarchie verbleiben? Einerseits sind das sehr kluge Leute, die es verdienen, reich zu sein:

Aber sie verdienen es nicht, 30% des globalen BIP abzuschöpfen, nur weil sie ein Monopol über uns haben!

Wir können weiterhin politisch zwischen Rechts und Links, Mitte und dergleichen differenzieren, aber ich glaube nicht, dass wir uns darüber uneinig sein sollten, dass ein Monopol auf die mächtigste Form des Kapitals [Cloud-Kapital], so stark auf nur zwei Orte konzentriert – in Silicon Valley und um Shenzhen –, keine stabile Welt schaffen kann: Das vergiftet Demokratien und verschärft sogar den Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China, wodurch diese Welt zu einem existenziell viel stärker bedrohten Ort werden würde!

***

Transkript Erstellung und Übersetzung: UNSER-MITTELEUROPA

Das Gespräch mit Yanis Varoufakis auf dem QEF im englischen Original:



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Von Redaktion

5 Gedanken zu „Yanis Varoufakis am Qatar Economic Forum: Tech-Feudalismus produziert nichts – nur Mieten!“
    1. Da täusche Dich mal nicht. Die haben auch viel zu tun – Nester bauen, Gelege ausbrüten, füttern und ihnen wenn sie flügge werden das Fliegen beibringen, tägliche Futtersuche, auf der Hut sein vor Fainden, etc. etc. etc.. – so war es im PRINZIP bei den früheren Menschen auch. Es geht bei den Tieren wie bei den Menschen um die tägliche Arbeit für die reine Existenz und Existenzsicherung. Nur kennen die Tiere in der Natur keine GIER wie die Menschentiere, aber leicht ist deren Leben auch nicht.
      Meiner Ansicht nach.

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  1. So etwas wie einen westlichen Liberalismus gibt es überhaupt nicht. Es ist ein Mythos, der während des Kalten Krieges und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ständig gebetsmühleartig wiederholt wurde, um die Menschen von einer unipolaren Welt angeführt von den USA zu überzeugen und die Macht der US Oligarchen zu zementieren.
    Fakt ist: DIe USA haben im Kalten Krieg überall mit Diktatoren paktiert und diese teilweise sogar selbst installiert.
    Die USA haben beispielsweise in Südkorea nach dem Koreakrieg eine brutale Diktatur unterstützt. Ja, in Südkorea herrschte nach dem Koreakrieg lange Zeit auch eine Diktatur (bis zu den 1980-ern). Allerdings eine prowestliche Diktatur, die von allen US-Regierungen unterstützt wurde!
    In Lateinamerika haben die US-Regierungen in vielen Staaten antidemokratische Diktaturen und Terroristen unterstützt und bewaffnet.
    Zum Beispiel in Chile (Pinochet), in Guatemala oder in Argentinien (1976)

    Hier noch eine Auflistung, wo die USA gewaltsame Regime-Changes durchgeführt hatten
    https://en.wikipedia.org/wiki/United_States_involvement_in_regime_change

    Hier eine Liste von antidemokratischen Diktatoren, mit denen die USA sehr gut befreundet sind/waren. Mit den meisten dieser Diktaturen haben die USA sogar geschäftliche Beziehungen und Handel getrieben haben:
    https://global-politics.eu/u-s-friendly-dictators/

    Die US AMerikaner hatten im Jahre 1953 die Demokratie im Iran durch einen Putsch abgeschafft. Was haltet ihr davon?
    https://diefreiheitsliebe.de/gesellschaft/iran-1953-der-demokrat-aus-teheran/

    https://learngerman.dw.com/de/1953-irans-gestohlene-demokratie/a-17008768

    AUch im Nahen Osten bekämpfen die USA seit vielen Jahrzehnten den westlichen Liberalismus, den sie vorgeben zu verteidigen. Und zwar indem die US Regierungen die islamistischen Diktaturen in den Golfstaaten eng zusammenarbeiten udn denen teilweise sogar geholfen haben die Islamisierung voranzutreiben (siehe Saudi Arabien, der beste Freund der USA).

    Und auch sonst sieht man es jetzt in Osteuropa sehr deutlich, wo die USA udn der kollektive Westen das prowestliche ukrainische Selenskij-Regime unterstützen. Genau das ukrainische Regime, welches angeblich unsere “westlichen Werte”, unsere “westliche Zivilisation” und unsere “westliche Demokratie” im Krieg gegen Russland verteidigen. Das ist völliger Schwachsinn!
    Die Ukraine ist jetzt dank der Unterstützung aus dem Westen und dank dem pro-westlichen Maidan-Putsch seit 2014 noch undemokratischer gerworden als vor der Maidan-Revolution:
    https://weltwoche.ch/daily/wolodymyr-selenskyj-hat-in-der-ukraine-praktisch-alle-parteien-verboten-und-konzentriert-seine-medienmacht-kritik-im-westen-fehlanzeige/

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