Yanis Varoufakis analysiert eine wirtschaftliche Zeitenwende epischen Ausmaßes, die gerade im Entstehen ist. Er erkennt ein neues Wirtschafts-Modell, das er „Techno-Feudalismus“ nennt und über Kapitalismus steht.
Warum gibt es zwischen USA und China einen neuen Kalten Krieg?
Von REDAKTION | Yanis Varoufakis entdeckt, wie sogenannter „Techno-Feudalismus“ das althergebrachte Wirtschaftsmodell des Kapitalismus auf feudale Art aussaugt und durch Akkumulation ungeheurer Mengen sogenannten „Cloud Kapitals“ in den Händen weniger Oligarchen zur existentiellen Gefahr der Menschheit werden lässt.
Varoufakis erklärt, wie USD-Hegemonie bisher funktioniert, indem die USA statt Waren ihre Währung exportieren, wodurch sich atlantische Eliten bereichern, doch gleichzeitig ihre eigene industrielle Basis aushöhlten.
Sogenannte „Cloudalists“ sind die Protagonisten jener Plattform-Monopole, wie von beispielsweise Amazon oder Alibaba, die ihre Profite nicht über die Herstellung von Produktionsgütern, sondern über ein Pachtzinsmodell von bis zu 40 Prozent, angelehnt an vorkapitalistische Zeiten des Feudalismus, realisieren.
Der Konkurrenzkampf dieses neuen Wirtschaftssystems feudalistischer Art sei, laut Varoufakis, in Wahrheit der Hauptgrund der Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und China.
Chinas engere Verflechtung von Technologie und Finanzgewalt biete im Vergleich zur USA Vorteile mit der einzigartigen Möglichkeit einer Gesamtlösung zugunsten der globalen Bevölkerungsmehrheit, was jedoch in Amerika durch den Interessenskonflikt zwischen Wall Street/Finanzgewalt und Silicon Valley/BIG TECH ausgeschlossen scheint.
Vor diesem Hintergrund sieht Varoufakis für die Zukunft zwei mögliche Szenarien:
- Einem technofaschistischen Westen unter der Führung von Tech-Finanz-Oligarchen.
- Ein reformiertes Modell, in dem Chinas staatlich gelenkte digitale Infrastruktur demokratischere, kooperativere Volkswirtschaften zulassen und ermöglichen würde.

Das Transkript des Videos von Yanis Varoufakis auf Deutsch zum Thema „Techno-Feudalismus“

Warum gibt es einen neuen Kalten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China? Taiwan ist nicht der Grund dafür. Die Position Chinas und der Vereinigten Staaten ist dafür ausschlaggebend. Die Ein-China-Politik ist seit den 70er Jahren und Nixons Pekingreise, unverändert geblieben. Jene Erklärung [in Bezug auf Taiwan] klänge somit lächerlich. Dagegen gilt die Tatsache, dass China sich weiterentwickelt und technologisch besonders fortgeschritten aufgestellt hat. Hat Bill Clinton nicht daran gedacht, als er Himmel und Erde in Bewegung setzte, um China in die Welthandelsorganisation aufnehmen zu lassen? Jene US-Administration war nicht einfältig: Sie wusste genau, was sie tat. Das reicht also nicht für eine Erklärung!
Meine Erklärung zielt darauf ab, was niemand nach dem Jahr 2008 so vorhersah:
Die Mutation des Kapitals in eine neue Form, die ich „Cloud-Kapital“ nenne!
Es hat einerseits Leuten, wie Elon Musk und noch gefährlichere, wie Jeff Bezos oder Peter Thiel sowie andererseits die Eigentümer von Buydo, Alibaba, Tencent etc. in China enorme Macht verschafft, um Mehrwert über Cloud-Pachtzinsen abzuschöpfen.
Warum ist das relevant? Weil das Recht auf den Besitz von Cloud-Kapital in Folge zur Quelle exorbitanter und extraktiver Macht wird: Das heißt von Macht, um Mehrwert zu extrahieren, der auch kostenlose Arbeit von Menschen, die beispielsweise Inhalte [aus dem Netz] hochladen und zugleich umsonst arbeiten, umfasst und nicht einmal Proletarier wären. Sofern ich damit Recht habe, stellt sich die Frage, wo die beiden Orte und Pole der Konzentration von Cloud-Kapital angesiedelt sind:
Es sind Silicon Valley und China!
Deshalb kam es zu diesem Konflikt [USA gegen China], insbesondere weil China in diesem technologischen Bereich des Cloud-Kapitals einen großen Vorteil gegenüber den Vereinigten Staaten besitzt. Worin besteht dieser Vorteil? In den Vereinigten Staaten herrscht Krieg – nicht nur ein Klassenkrieg, sondern auch ein inner-kapitalistischer Krieg zwischen Cloud-Kapitalbesitzern von Silicon Valley [Big Tech] und den von Wall Street [Big Finance]:
Die Wall Street würde diesen Vorteil niemals zulassen. Sie würden ihn vernichten, falls es dazu käme, um gegen Leute wie Zuckerberg, Musk, Apple vorzugehen, die versuchten ihre Finanzeinnahmen zu stehlen und diese an sich zu reißen.
Deshalb existiert im Westen keine App wie WeChat. Nicht weil der Westen kein kostenloses Zahlungssystem wie WeChat entwickeln könnte, sondern weil Wall Street das nicht zulassen würde. Wall Street kontrolliert die Zentralbank [Fed]. In China ist das nicht der Fall. Kluge Köpfe in Washington DC sahen das und erkennen, dass China einen fantastischen Vorteil gegenüber den Vereinigten Staaten besitze:
Wegen der Verschmelzung von Cloud-Kapital und Finanzgewalt!
Ich nenne es Cloud-Finanzgewalt, was in den Vereinigten Staaten aufgrund des Krieges zwischen Finanzkapital und Cloud-Kapital nicht möglich ist. Und, sie [im Westen] sehen und wissen, dass China über die Technologie und politische Ökonomie verfügt, welche eine nahtlose Verbindung zwischen Handel und Geldtransfers möglich macht: Kostenlose Geldtransfers rund um den Globus! Mit WeChat und der digitalen Währung der chinesischen Zentralbank ist dies natürlich bereits möglich. Würde die Fed eine digitale Währung jemals einführen? Nein, denn die Wall Street würde das niemals zulassen: Sie kontrolliert, doch anders als in China, die Fed [Zentral Bank], nicht umgekehrt!
Aber China steht nun vor einem großen Dilemma zwischen dreieinhalb und vier Billionen Dollar Ersparnissen. Will China bzw. Peking wirklich das exorbitante Privileg des Dollars untergraben? Noch nicht! Für mich ist klar, dass die chinesische Führung sich nicht dazu entschlossen hat, aufs Ganze zu gehen. Was würde es bedeuten?
Es würde bedeuten, BRICS in eine neue Form, in eine technologisch versierte Form von Bretton Woods zu verwandeln, in der China die Rolle des Überschuss-Recyclers spielen würde, so wie die Vereinigten Staaten ihre eigenen Überschüsse über das Bretton-Woods-System recycelten. China könnte das heute tun: Aber China will das noch nicht, wegen all der Ersparnisse, die es in US-Dollar angelegt hat. Mir ist auch klar, dass China sich sehr moderat und besonders vorsichtig verhält, bevor es die exorbitanten Privilegien des US-Dollars in Frage stellen wollte. Sie könnten es tun, aber sie wollen es nicht:
Zumindest nicht, solange sie nicht unter enormen Druck gerieten!
China bleibt die einzige Quelle zur Hoffnung, zumindest in meinem Herzen und nach meinem Verstand, doch es besteht keine Garantie dafür:
Aber China gibt Anlass zur Hoffnung, dass dort eine neue Art von kooperativem, KI-gestütztem Unternehmertum entstehen könnte!
Sodass die digitale Währung der Zentralbank zu einem Treuhandfond für jeden chinesischen Einwohner werden würde! Dass China mit anderen Worten den Weg aufzeigen könnte, dass Cloud-Kapital sozialisiert und zu einer Quelle des Fortschritts werden könnte – und nicht zur Quelle eines Techno-Feudalismus, der seine eigene Ideologie im Techno-Faschismus von Menschen wie von Peter Thiel manifestiert. Trump bzw. seine Leute wollen gleichzeitig zwei Ziele erreichen – zwei Aufgaben, die widersprüchlich erscheinen, doch von ihnen – wie auch von mir – als nicht widersprüchlich wahrgenommen werden:
Sie wollen den Dollar um etwa 30 % abgewertet wissen!
Tarife sind Mittel, um ihre Handelspartner davon zu überzeugen bzw. zu zwingen, ihre Währungen gegenüber dem Dollar um etwa 25% bis 30% aufzuwerten. Gleichzeitig jedoch wollen sie das exorbitante Privileg der Dollar-Reservewährung beibehalten.
Sie werden dies auch mit Hilfe von Stablecoins zu erreichen versuchen, um beispielsweise die Japaner davon überzeugen, eine halbe Billion oder eine Billion ihrer Dollar-Ersparnisse in Stablecoins [eine Kryptowährung] zu konvertieren. Die Stablecoins-Unternehmen, die zu den Freunden von Donald Trump zählen – Unternehmen wie Tether, USD Coin [USDC] und so weiter – würden in Folge darüber amerikanische 30-jährige Anleihen erwerben. So käme es gleichzeitig zu einem Ausverkauf des US-Dollars. Der Dollar würde demnach abwerten, die Renditen sinken und die US-Regierung erhielt einen besseren Zugang zu den Geldmärkten. So hielten sie das Privileg des Dollars aufrecht, ohne die Aufgabe und das Ziel aufzugeben den Dollar zu spalten. Ich denke, das ist es, was sie beabsichtigen. Ob sie damit Erfolg haben werden, steht in den Sternen!
Sollten jedoch, insbesondere die Europäer Trump und US-Demokraten für einen Haufen von Idioten, die nicht wissen, was sie tun, halten:
So wäre das ein großer Fehler!
Trump wird noch Probleme bekommen: Wenn dieser Plan funktioniert und das US-Handelsdefizit schrumpft, dann werden seine Maklerfreunde und die der Finanzwelt in große Schwierigkeiten geraten, weil ihre Einnahmen – wie ich zu Beginn indirekt andeutete – von dem sehr großen Handelsüberschuss [der Exportnationen] abhängig sind. Es gibt keine Handelskriege:
Was wir erleben, sind Klassenkriege, die durch Handel und Sanktionen geführt werden!
Handelskriege sind Klassenkriege! Was bringt es, Gewinne anzustreben, wenn man hingegen riesige Pachtzinsen abkassieren kann, indem man seine Produktionslinien schon viel früher, in den 1970er und 1980er Jahren, nach Vietnam, China, Indien oder sogar nach Europa verlagert hatte? Um im Anschluss einfach die Kapitalflut abzukassieren, die zurück an die Wall Street fließt!
In China kam es dadurch zu einer massiven Kapitalakkumulation. Falls man als Aluminiumproduzent in Shanghai oder Shenzhen nach Kalifornien verkaufte, hat man über die letzten 30 Jahren eine bemerkenswerte Kapitalakkumulation realisieren können. Der Handelsüberschuss Chinas ging Hand in Hand mit einer Abspaltung einher: Mit Unterdrückung der Löhne und inländischen Gesamtnachfrage in China.
Es gibt somit sowohl einen Klassenkampf in China wie auch einen in den USA!
In den Vereinigten Staaten sind die Rentiers die einzigen Gewinner. In China kam es zu Kapitalakkumulation und zu Kapitalisten, welche mit Teilen der Arbeiterklasse aufstiegen. Zwei Dinge passierten:
Obwohl sich das Handelsdefizit der Vereinigten Staaten innerhalb von 18 Monaten nach 2008 erholte, war Wall Street nicht mehr in der Lage, den Tsunami recyceltes Kapital in Form von produktiven Investitionen im nordatlantischen Raum, also in Europa oder Vereinigten Staaten, zu reinvestieren, mit Ausnahme eines einzigen Sektors: In den einen Sektor, der von der quantitativen Lockerung – dem massiven Gelddrucken – profitierte, nachdem das nach April 2009 insbesondere kapitalistische Zentralbanker realisierten, um über koordinierte Aktionen, die wenige Monate zuvor gesunkenen Finanzschiffe wieder flott zu machen. Der einzige Sektor, der in Form von tatsächlicher Kapitalakkumulation vom gedruckten Geld – zwischen 2009 und 2022 waren dies rund 35 Billionen Dollar – profitieren konnte, war der große Technologiesektor in den Vereinigten Staaten – den ich mit Cloud-Kapital benannte.
Der grundlegende Unterschied zwischen Cloud-Kapital und allen anderen Arten von Kapital, die ihm vorausgingen, besteht darin, dass Cloud-Kapital, was auch immer in einem [Smart-]Phone steckt, kein [klassisches] Produktionsmittel darstellt, sondern:
Ein produziertes Mittel zur Verhaltensänderung!
Der Eigentümer dieses Cloud-Kapitals verfügt über die bemerkenswerte Möglichkeit, das Verhalten der Menschen direkt zu modifizieren, um ein digitales Lehen zu schaffen, wie in den Vereinigten Staaten durch Amazon oder in China durch Alibaba. Das sind keine Märkte:
Es sind vielmehr algorithmisch, hierarchisch aufgebaute Handelsplattformen!
Es stellt eine Form der Wirtschaftsplanung dar. Deren Algorithmen sind optimiert, um die Cloud-Pachtzinsen[Renten] zu maximieren, welche den Eigentümer dieser Plattformen zugutekommen.
In China wurden Menschen wie Jack Ma gebändigt. Das war politisch genauso gut, wie die Funktion, Mehrwert in Cloud-Renten/Pachtzinsen umzuwandeln. In den Vereinigten Staaten gab es keinen solchen Mechanismus. Man erlebte hingegen, wie sogar Elon Musk ins Weiße Haus einzog und seine Plattformen an die Server der Bundesregierung anschließen ließ, um mehr Daten zu extrahieren und mehr Cloud-Kapital aufzubauen. Ich ziehe meinen Hut vor ihm, dass er das schaffte, ohne dass jemand bemerkt hätte, was er diesbezüglich tat!
Als Trump gewählt wurde, weil er Obama abgrundtief hasste, wollte er etwas zerstören, worauf Obama sehr stolz gewesen war. Es waren zwei Dinge:
- Obamacare [Affordable Care Act]
- das Abkommen zwischen dem Westen und Iran zum iranischen Atomprogramm samt Beendigung der Sanktionen, was vom Iran, den Vereinigten Staaten und der gesamten Europäischen Union mit Begeisterung unterzeichnet worden war.
Doch, Trump wollte dieses Abkommen zerstören, weil er Obama verabscheute: Er nahm das Iran-Abkommen und zerriss es. Das bereitete der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel großen Ärger, weil sie gemeinsam mit Obama an diesem Abkommen mit dem Iran sehr hart gearbeitet hatte. Deutsche Unternehmen waren bereits mit dem Iran in Verhandlungen eingetreten, um vor Ort Fuß zu fassen. Nach so vielen Jahren der Sanktionen erschien der Iran für Deutsche Großkonzerne, gleich einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, insbesondere für Bereiche, wie Energie, Konsumgüter und Automobilbau. Alle waren bereit wieder einzusteigen, doch Trump sagt: „Nein!“ Merkel trat hervor und hielt eine Pressekonferenz gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten, was beispiellos war. So etwas kommt nicht oft vor. Merkel sagte:
„Ich weiß nicht, was die Vereinigten Staaten tun werden. Doch, wir respektieren deren Meinung und Widerstand. Aber Deutschland wird sein Friedensabkommen mit dem Iran aufrechterhalten und deutsche Unternehmen werden auf der Grundlage dieses internationalen Abkommens, das wir erfüllen und einhalten werden, weiterhin Geschäfte im Iran tätigen!“
Doch, innerhalb von 12 Stunden meldeten sich sämtliche CEOs aller deutschen Konzerne zu Wort, um zu verkünden:
Wir nicht! Wir machen nicht mit – wir steigen aus und werden den Amerikanern folgen!
Warum? Das ist wirklich ganz einfach, weil sie von ihren Nettoexporten in die Vereinigten Staaten abhängig sind. Die Trump-Regierung drohte ihnen, dass sie nicht von den Senkungen der Körperschaftssteuer, die Trump angekündigt hatte, profitieren könnten und ließ ihnen ausrichten: „Ihr wollt davon profitieren? Dann gibt es keine Geschäfte mit dem Iran. Ihr wollt Euren Zugang zum Dollar-Zahlungssystem behalten? Dann gibt es keine Geschäfte mit dem Iran!“ Also wandten sich die deutschen Konzernchefs einen Tag nach Merkels Pressekonferenz gegen die deutsche Bundeskanzlerin und sagten sinngemäß:
Tut uns leid, Frau Bundeskanzlerin, wir schließen uns in dieser Frage Präsident Trump an!
Sie stellen sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen im Iran und in Europa. Es ist genau das, was sie jetzt einmal mehr tun: Die Vereinigten Staaten sprengen zusammen mit der Ukraine die Nord Stream Pipelines, was der deutschen Industrie jede Woche Milliarden kostet:
Doch, haben Sie einen deutschen Industriellen dazu gehört? Nichts!
Weil sie vom amerikanischen Handelsdefizit abhängig sind – diese Sache, wonach das Handelsdefizit der Vereinigten Staaten wie ein Staubsauger funktioniert, welcher die Nettoexporte Deutschlands, Frankreichs, Japans und Chinas in die Vereinigten Staaten saugt: Die USA brauchen den Dollar, damit das monopolistische Transaktionssystem bestehen bleibt, denn:
Nur das Monopol auf Transaktionen ermöglicht Amerikanern, ihre ungedeckten und nicht finanzierten Defizite fortzusetzen!
Man schaue sich nur den Aufstieg dessen an, was ich in den Vereinigten Staaten und China Cloud-Kapital nenne. Mit Cloud-Kapital meine ich: Das algorithmische Kapital, auf dem Big Tech aufgebaut ist und eine neue Form von Kapital darstellt. Denn im Gegensatz zu anderen Formen von Kapital, die stets Produktionsmittel sind, sprich produzierte Produktionsmittel, wie Roboter, Traktoren oder etwas, was man produziert hat, um etwas anderes produzieren zu lassen, ist dieses [Cloud Kapital] kein produziertes Produktionsmittel:
Es stellt ein künstliches Mittel zur Verhaltensänderung dar!
Das macht Alibaba – das macht Tik Tok – das macht Tencent. Das macht natürlich Amazon, Google, Facebook und andere! Es handelt sich um Kapitalgüter, die Nicht-Märkte schaffen – Plattformen, die wie Märkte aussehen, aber keine Märkte sind: Sie ermöglichen dem Eigentümer des Cloud-Kapitals, uns als Käufer, Verkäufer, Influencer, Meinungsmacher oder einfach als Konsumenten für Unterhaltung zu gewinnen und uns allen eine Art Miete [Pachtzins] zu berechnen. Das ist eine enorme Macht, die der Besitz besagten Cloud-Kapitals den Eigentümern derselben beschert.
Nun gibt es [nur] zwei Länder auf der Welt, die über hoch konzentriertes Cloud-Kapital verfügen: Eines sind die Vereinigten Staaten und das andere ist China! Der Grund, warum China das hat, ist, weil man Silicon Valley zuvor bannte. Europa hat [die Produkte von] Silicon Valley nicht verboten. Deshalb blieben in Europa alle von Google, Facebook, Meta und all dem abhängig:
Europa hat kein eigenes Cloud-Kapital entwickelt!
Es gibt also amerikanisches Cloud-Kapital – es gibt chinesisches Cloud-Kapital: Das chinesische Cloud-Kapital hat einen Vorteil gegenüber dem amerikanischen Cloud-Kapital. Das sollte man verstehen. Nicht so sehr, weil chinesische Technologie besser als die der Amerikaner wäre: In einigen Bereichen haben Sie amerikanische Fähigkeiten übertroffen, aber in anderen Bereichen sind die Amerikaner den Chinesen voraus. China hat keinen technologischen Vorteil:
Es hat hingegen einen politischen Vorteil und organisatorischen Vorteil!
In China kontrolliert die Volksbank, die Zentralbank Chinas, die Bankiers. In den Vereinigten Staaten kontrollieren die Bankiers die Zentralbank. Sie besitzen die Zentralbank – sie haben die Zentralbank geschaffen. Die Zentralbank der Vereinigten Staaten, die Federal Reserve, wurde von J.P. Morgan gegründet. Nicht umgekehrt. Es ist wichtig, die institutionellen Unterschiede zwischen China und den Vereinigten Staaten zu verstehen.
Die Vereinigten Staaten sind ein sehr, sehr seltsamer Ort: Cloud-Kapital, Silicon Valley und die Finanzwelt in den Vereinigten Staaten arbeiten nicht zusammen. Apple Pay gibt es – Google Pay gibt es. So kann man zwar wie mit WeChat über Apple Pay bezahlen, aber ein großer Teil dieses Geldes fließt als Miete an die Wall Street ab.
Es gibt also eine Art Klassenkampf oder einen feudalen Krieg zwischen dem Lehensgebiet der Wall Street an der Ostküste und dem Lehensgebiet des Cloud-Kapitals an der Westküste. Sie stehen im Konflikt gegeneinander!
Diesen Konflikt gibt es in China nicht, weil sowohl der Finanzsektor als auch der große Tech- bzw. Cloud-Kapitalsektor der Kommunistischen Partei unterstehen:
Ich gebe ganz ehrlich und offen zu, das dies gut ist und einen Vorteil darstellt!
Aber, falls man in Washington säße, insbesondere nach dem Krieg in der Ukraine, insbesondere nachdem die chinesische Zentralbank den Digital One geschaffen hat: Der Digital One ist eine fantastische Erfindung. Man sollte ihn schätzen, nutzen und weiter entwickeln. Wir diskutieren darüber, wie das geschehen könnte. China hat eine digitale Superautobahn für Geldtransaktionen aufgebaut, die viel, viel fortschrittlicher ist, als die holprige Straße, welche der amerikanischen Dollar-Straße entspricht. Denn heute wird diese superbreite Autobahn [Chinas] nicht genutzt…
Doch, die amerikanische Straße, die sehr alt und voller Schlaglöcher ist, zwei statt fünf Fahrspuren hat, ist voller Verkehr, weil alle kapitalistischen Gewinne und der gesamte Handel an Transaktionen über diese alte Autobahn finanziert werden:
Doch, es gibt bereits eine Verlagerung von der amerikanischen Autobahn auf die chinesische Superautobahn!
Es begann mit den Russen: Das hat der Krieg in der Ukraine bewirkt. Wenn man ein Saudi und Oligarch wäre, macht man den größten Teil seiner Geschäfte mit den Vereinigten Staaten. Zwar liebt man US-Dollar, aber man weiß, dass die Amerikaner 400 Milliarden Dollar der Russen beschlagnahmt hatten… Als Saudi könnte man ggfs. versucht sein, folgendes zu denken: „Ich selbst bin zwar kein besonders guter Mensch – vielleicht mögen sie mich morgen nicht mehr. Vielleicht mache ich morgen etwas, was sie verärgert. Vielleicht nehmen sie mir einen Teil meines Geldes ab? Warum diversifiziere ich also nicht einen Teil meines Geldes? Ich werde meine Transaktionen auf die Superautobahn, welche die Chinesen gebaut haben, umleiten!“
Warum ist Saudi-Arabien interessiert, BRICS beizutreten? Das ist der Grund. Es gibt keinen anderen Grund – das ist der Grund!
In Washington denkt man, dass diese Superautobahn der Chinesen, eine klare und gegenwärtige Gefahr für US-Vorherrschaft darstelle:
Deshalb haben sie den Chips-Act eingeführt!
Weil sie damit die Fähigkeit der Konkurrenten, in diese Superautobahn zu investieren und für alle anderen attraktiv zu machen, einschränken wollen.
Deshalb schaffen sie Bedingungen, um jeden, der außerhalb der Vereinigten Staaten mit China Handel treiben wollte, zu ersticken: Weil sie diese Superautobahn nicht wollen. Das heißt:
- Es geht nicht darum, dass China zu stark wäre.
- Es geht nicht darum, dass China spioniere.
- Es geht nicht um Taiwan.
Es ist so, dass China eine digitale, cloudbasierte Superautobahn für Zahlungen aufgebaut hat, die eine klare und gegenwärtige Gefahr für das Monopol des Dollar-Zahlungssystems, welches die einzige Grundlage für die Hegemonie der Vereinigten Staaten ist, darstellt!
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Das Video mit Yanis Varoufakis im englischen Original: HIER
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„Wer verhindert den Weg zurück in die feudale Vergangenheit?“
Die demokratische Füllmasse der „Wähler“ (siehe aktuell das massenhafte Desinteresse an einer gewissen „Liste“ in den USA) garantiert nicht und Politiker / Parteien die im System spielen, noch viel weniger. Den Rest konnte man sich ja ansehen, als der „Yanis“ selbst Regierung spielte und schlicht das gleiche alte System geboten wurde, wie zuvor und danach.
Für mich gibt es derzeit keinen richtigen FORTSCHRITT mehr, sondern nur meistens nur alte Methoden wieder aufgewärmt, und damit alte bereits damals bestehende REGELN und TECHNIKEN aus der Mottenkiste geholt. Wann kommt denn mal was NEUES ?