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Es ist schwerlich ein physikalisches Gesetz zu finden, das so zur Ideologieschleuder umfunktioniert wurde und so weit über die Physiker-­Community hinaus Verbreitung fand, wie die Unschärferelation oder Unbestimmtheitsrelation, wie ihr Entdecker Werner Heisenberg sie nannte.

Die Unschärferelation als Ideologem

Von BRUNO ZWEISTEIN | Sogar ein ganzes Zeitalter soll diese Relation geprägt haben, worauf schon der Titel eines aktuell veröffentlichten Buches zur Geschichte der modernen Physik vollmundig anspielt. [1] Es ist irreführend, weil dieses wenig empfehlenswerte Buch ein falsches Bild der Geschichte der Wissenschaft und Technik im Zeitraum 1895–1945 zu vermitteln sucht. Denn diese Geschichte zeichnet sich nicht durch irgendeine Unschärfe aus, auch wenn die Unschärferelation in der Mitte dieses Zeitraums entdeckt wurde, sondern im Gegenteil durch zunehmende Präzision und daher durch einen bis dahin kaum vorstellbaren Fortschritt der Messungen insbesondere der Physik und Chemie.

In diesen 50 Jahren wurden nicht nur über 20 neue Elemente entdeckt, welche gemäß Mendelejew zu erwarten waren, aber sich noch hartnäckig verbargen, sondern vor allem die bis dahin unzugänglichen Elementarteilchen wie Elektron, Proton und Neutron, die sich als Bestandteile der somit voreilig benannten Atome herausstellten, deren Eigenschaften mit einer bis dahin unmöglichen Genauigkeit gemessen wurden. Auf dieser Grundlage konnten der innere Aufbau und die Funktionsweise der Atome enträtselt werden, was technische Errungenschaften ermöglichte, die heute unseren Alltag prägen, wie Mikroelektronik, Kernenergie oder Kunststoffe. Beeindruckend waren auch die Fortschritte der Technik bei der Eroberung der Lüfte, die ohne breite, disziplinübergreifende Erweiterung des naturwissenschaftlichen Horizonts unmöglich gewesen wären.

Lassen wir die ewige Debatte »Technik: Segen oder Fluch?«, wo sie ist; wie die Menschheit neue Möglichkeiten nutzt, ist ihre Sache, aber die Frage ist zunächst, ob sie sie überhaupt nutzen kann. Und diese Option wurde in jenem Zeitraum ungeheuer erweitert – durch Erweiterung des objektiven Wissens über die Wirklichkeit nämlich, das erst einmal da sein muß, bevor es wie auch immer praktisch genutzt werden kann.

Aber ein ideologischer, merkwürdig mittelalterlicher, obskurantistischer Zug konnte in diesem Zeitraum tatsächlich beobachtet werden, den Hürter ausblendet. Seitdem die Quantenphysik das Licht der Öffentlichkeit erblickt hatte, griff in seltsamem Widerspruch zu dem Zuwachs an objektivem Wissen um die bis dahin so gut wie unbekannten Materieeigenschaften in den Lehrsälen eine gewisse mystische Tendenz um sich, die wir, wenn wir es wollen, in der Tat mit »Unschärfe« in Verbindung bringen können . Es gab immer weniger öffentlich wahrnehmbare Vertreter dieses Teilgebiets der Physik, die, sobald überblickstiftende Zusammenhänge zur Debatte standen, nicht irgendeinen dunkel raunenden Kram von sich gaben. Niels Bohr und Werner Heisenberg beispielsweise tilgten die Worte »Naturgesetz« und »Experiment« zugunsten von »Deutung« und »Gedankenexperiment«, Richard Feynman paradoxte etwas eitel: »Wer die Quantenphysik verstanden hat, hat sie nicht verstanden«, um nur eine kleine, aber prominente Auswahl zu Wort kommen zu lassen. »Physica, cave metaphysicam!« schien deren Sache nicht mehr zu sein. Dabei spielte in der Argumentationsweise der verkappten Metaphysiker immer öfter die Unschärferelation eine zentrale Rolle, die im wesentlichen bewiesen haben sollte, daß jede Beobachtung (resp. Messung) durch den Beobachter beeinflußt werde bzw. keine objektive Realität existiere bzw. die Realität nicht erkennbar sei, wodurch eine wissenschaftliche Betätigung eigentlich sinnlos wurde; komisch, daß Atombomben wie Kernkraftwerke trotzdem funktionieren (und noch viele andere Anwendungen »wertfreier«, aber offensichtlich zutreffender Erkenntnisse, denn sonst hätten deren Anwendungen nicht lange oder überhaupt funktioniert).

Der wahre Kern der zum proreligiös obskurantistischen Mantra erstarrten Behauptung ist einfach, daß es ohne Beobachter keine Beobachtung geben kann, was zweifellos stimmt. Und diese Beobachtung ist nur möglich durch die Wirkung des Objekts auf den Beobachter oder ein Hilfsmittel des Beobachters (z.B. eine besonders empfindliche Aufnahmeplatte). Beobachten wir z.B. einen Stern, so können wir das nur, weil von ihm ausgehende Photonen auf uns, d.h. unsere Netzhaut, wirken und von da aus neuronale Prozesse in Bewegung setzen. Unsere eigene Wirkung auf den Stern können wir allerdings vergessen. Jedenfalls ist sie unvorstellbar klein (und irrelevant) und träte auch ein, wenn wir ihn nicht beobachten. Mit einem Vogel auf dem nächsten Zweig mag das anders sein; merkt er, daß er beobachtet wird, fliegt er meistens weg. Die Unschärferelation verkam im Laufe der Zeit immer mehr zum bloßen suggestiven Schlagwort, bei dem jeder Empfänger spürte, daß schon die geringste ernste Nachfrage als eine Art Majestätsbeleidigung und Anmaßung aufgefaßt wird. […]

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Ketzerbriefe 253 – Flaschenpost für unangepaßte Gedanken, 80 S., € 5.-,
ISSN 0930-0503 / ISBN 978-3-89484-316-8
Im Abonnement (6 Hefte) € 37,50 inkl. Versandkosten

Inhalt

  • In memoriam Khaled al-Asaad (und einige Überlegungen zu einem jüngst rekonstruierten Keilschrifttext)
    von Peter Priskil
  • Volkswagen – Die letzten nicht US-amerikanischen »Global Player« werden liquidiert
    von Joachim Füseter
  • Autofahrer aufgepaßt!
    Bericht eines Prüfingenieurs
  • Aus der Welt der Ideologeme (XLIII)
    Was ich schon immer mal kapieren wollte:
    Die Unschärferelation
    von Bruno Zweistein
  • Was steckt hinter dem »Rollator-Putsch«?
    von Ursula Leitner
  • Das Demokratie-Theater der BRD geht zu Ende – Rheinland-Pfalz gibt den Startschuß
    von Fritz Erik Hoevels
  • Leserzuschrift
    Hinweise für Reisende nach Lykien und Antalya
  • Flugblatt
    Für die Wiederbeachtung der Verfassung!
  • Charlie Kirk
    Märtyrer der Meinungsfreiheit

[1]  Tobias Hürter, Das Zeitalter der Unschärfe – Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895–1945, Klett-Cotta, Stuttgart 2023.



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